Irgendwie habe ich offensichtlich eine besondere Verbindung zu unseren Nachbarn im Süden. Bereits vor zwei Jahren hatte ich eine ganz spezielle musikalische Verpflichtung in Wien. Vergangenes Wochenende hatte ich jetzt meinen ersten „internationalen“ Soloauftritt, wieder in Österreich, diesmal aber nahe Linz.
Vor gut drei Jahren hatte ich per Mail eine Anfrage nach Flötenduetten von Komponistinnen. Leider konnte ich nicht direkt helfen, lediglich mit einigen Namen von Komponistinnen. Die Anfrage kam, wen überrascht es, aus Österreich. Ein Ehepaar, dass unter dem Titel „art & eat“ schon seit Jahren immer wieder Einladungen für ca. 40 Personen organisiert, bei denen eine Ausstellung mit Lesung und Musik kombiniert und durch ein fulminantes Essen gekrönt wird. Für eine solche Veranstaltung wurden nun die Duette benötigt und für jede folgende Veranstaltung wurde ich ab da eingeladen, doch selbst zu kommen und zu spielen.
Mich hat das anfangs ziemlich irritiert, weil diese Einladungen so entschlossen ausgesprochen wurden, obwohl ja keiner wissen konnte, ob ich überhaupt halbwegs gerade spielen kann. Da ich schüchtern bin, war mir das dann schon eine Nummer zu groß, ein ganzes Wochenende frei kommt auch nicht so oft vor, darum wurde das zunächst nix (und ganz alleine spielen ist sowieso immer seltsam). Bei meiner Stippvisite in Wien (siehe oben) trafen wir uns dann erstmals und ich lernte die wirklich unvergleichliche Gastfreundschaft der beiden kennen. Als dann Anfang dieses Jahres wieder eine Einladung kam, noch dazu für ein noch völlig freies Wochenende, habe ich ja gesagt.
Das geplante Programm: Lesung einer mir bis dahin völlig unbekannten Autorin: Sabine M. Gruber und Musik von mir, diesmal kein Künstler. Auf meine erste Anfrage, wie viele Stücke denn nötig wären, hieß es neun (NEUN!!!!!). Au weia……
Also habe ich fleißig geübt und gegrübelt, wie ich zu einem stimmigen Programm kommen kann, das passt, wenn ich die gelesenen Texte gar nicht kenne. Die von meinem Lehrer im Februar oder März spontan zugesagte Hilfe kam nicht zustande, leider keine Antwort auf meine Emails mit Fragen egal ob inhaltlich oder wegen eines Unterrichtstermins). Nachdem ich mal kapiert hatte, dass von dieser Seite nichts zu erwarten wäre, habe ich also versucht die zur Wahl stehenden Stücke auf ein passendes Repertoire zu reduzieren und die wackeligen Stellen zu stabilisieren.
Die nächste Rückfrage ergab zwar keinen Input in Sachen Stil oder Epoche, wohl aber die Reduzierung auf fünf statt neun (ein Lichtblick). Also legte ich mich fest auf die drei Sätze aus der Sonate a-moll von Carl Philipp Emanuel Bach, die dritte Tango Etüde von Astor Piazzolla, Thema und drei ausgewählte Variationen aus den Les Folies d’Espagne von Marin Marais und Piece von Ibert. Das alles habe ich die vergangenen fünf Jahre mal irgendwann im Unterricht gearbeitet, von daher eigentlich ganz gut. Im Ibert gab es allerdings schon einige kritische Stellen (wegen mangelnder Luft und schlecht laufenden Fingern).
Das Üben bis zum Ende, soll heißen bis ins Detail, ist nicht gerade meine Stärke. Daher wusste ich, dass die letzten vierzehn Tage nach der endgültigen Entscheidung für diese Werke ganz schön hart werden würden. Ansatz und Flexibilität bei täglichen Tonübungen in guten Zustand zu bringen, fiel mir nicht schwer und war ein schönes Erfolgserlebnis.
Mit den Ecken, die sich in alle Stücke eingeschlichen hatten, seit ich sie zuletzt richtig geübt hatte, war es schon etwas schwieriger. Den Bach hatte ich recht schnell wieder flüssig, den Marais ebenfalls. Sorgen machten mir Piazzolla und Ibert, auch weil ich beide noch nie öffentlich gespielt hatte aber sehr gerne mag. Mir war klar, wenn dieser erste Versuch einer echten Aufführung völlig daneben ginge, würde ich das nie wieder wagen. Also täglich die ganz tiefen Stellen im Piazzolla (Glissando vom c1 zum f1 zum Beispiel) und den Anfang von Ibert (wegen der Luft, schließlich soll der Abschlusston laut sein) und der Terzaufgang. Außerdem jeden Tag einmal das ganze Programm durch, damit die Kraft und Konzentration reicht und ich mich auch ans Durchkommen gewöhne.
Wenige Tage vor dem Abflug hatte ich dann auf Facebook eine Nachricht der Autorin. Eigentlich hatte ich auch schon nach ihr googeln wollen, war aber vor lauter Dienstreisen und sonstigem Theater gar nicht dazu gekommen. Wir schlossen uns kurz und dank YouTube-Aufnahmen der gewählten Stücke hatte ich dann bald ein von Ihr mit Ihren Texten koordiniertes Programm und konnte in der Zielreihenfolge üben. Eigentlich praktisch perfekt.
Noch ein paar biographische Informationen für den Gastgeber und Moderator (was hat der bloß vor !?!) und schon nahte der Freitag, an dem ich von Düsseldorf nach Linz fliegen sollte. Zum Freitag hin steigerte sich meine Nervosität gewaltig. Zum eigentlichen Lampenfieber wegen des musikalischen Parts kam noch die für mich typische Unruhe vor Reisen und Ereignissen, bei denen ich keine genaue Vorstellung habe, was mich erwartet aber mir wichtig ist, dass alles klappt.
Den Flieger erreichte ich abgesehen von leicht skurrilen Szenen an der Sicherheitskontrolle (nachzulesen auf Facebook, glücklicherweise war ich nur Zuschauer) ohne Stress und überpünktlich. Der Flug war ebenfalls pünktlich und kam sogar zu früh an. Am menschenleeren winzigen Linzer Flughafen empfing mich Urlaubsatmosphäre mit traumhaftem Sonnenuntergang und Heuduft in der Luft, dazu fast 10°C wärmer als am Abflugort.
Mit der Ankunft meiner Gastgeber, die mich auch noch abholten (perfektere Gastfreundschaft gibt es nicht) kam auch der Regen, das machte aber gar nichts.
Die Lokalität der Veranstaltung, gleichzeitig das schnuckelige Heim der Einladenden, erwies sich als altes Bauernhaus mit dicken Mauern im Erdgeschoss (sehr günstig bei den hohen Temperaturen des folgenden Tages) und modern ausgebautem Dachgeschoss mit Terasse zum Hang. Wunderschöne Atmosphäre, individuell gestaltet und voller Kunstobjekte. Auf Anhieb zum Wohlfühlen. Auf einen eher kurzen Abend (ich hatte es hier mit im Gegensatz zu mir extremen Frühaufstehern zu tun) folgte eine Nacht im rustikalen Bauernbett von anno dazumal (die Diagnole war für meine mittelmässige Körperlänge gerade recht) und dann ein langer Tag an dessen frühem Abend es dann ernst werden sollte.
Für mich entstand dadurch das Problem, mich irgendwie von der Erwartung meines Auftritts selbst abzulenken, um die schwelende Nervosität nicht ins Unermessliche anwachsen zu lassen. Ein bisschen Unterstützung in Küche und bei sonstigen Vorbereitungen war zwar möglich, aber die Tendenz meiner Gastgeber war eher, dass ich mich ausruhen soll, ein bisschen Urlaubsgefühl aufkommen lassen. Ganz schwierig mit der bevorstehenden Aufgabe im Kopf.
Irgendwie verging die Zeit aber doch und am späteren Nachmittag standen als erstes Sabine M. Gruber und ihr Mann vor der Tür. Dem kurz heftig aufflackernden Puls (jetzt wird es wirklich ernst) folgte große Sympathie auf den ersten Blick, ein sehr entspanntes und schönes Gespräch über Gott und die Welt und damit auch die spontane Beruhigung meines Nervenkostüms. Kurz nachdem wir uns zum Umziehen zurückgezogen hatten rollte dann die Welle der Gäste an. Das war dann doch zu aufregend für mich und so zog ich mich lieber in mein Zimmer zurück, als mit dem späteren Publikum small talk zu machen (ich hoffe mal, das war nicht zu unhöflich).
Ich weiß ja nicht, wie es anderen geht. Für mich jedenfalls gibt es im wesentlichen zwei mögliche Verläufe eines anspruchsvollen Auftritts. Entweder bin ich in Nervosität gefangen, kann nur irgendwie durchkommen aber keine Musik mehr machen, komme durch Fehler immer wieder ins Stolpern und bin beschäftigt, meine in alle Richtungen flitzenden Gedanken irgendwie auf die eigentliche Aufgabe zu lenken, oder aber ich schaffe es, mich dazu zu zwingen, die Musik im Mittelpunkt zu lassen, nicht an kommende Hürden zu denken und Fehler Fehler sein zu lassen. Dann kann ich mich einigermaßen freispielen und mit einer Art „jetzt erst recht“ auch beim Auftritt Musik aus den Noten machen.
Vorher weiß ich eigentlich nie, wohin die Reise geht, das ist ein Grund für die Nervosität. Bei Stücken, die nicht allzu anspruchsvoll sind, im Orchester und auch bei den meisten Ensembles sowie bei Gottesdienstumrahmungen bin ich eigentlich meist kaum nervös (das nur für die, die mich kennen und jetzt den obigen Darstellungen widersprechen wollen). Ganz alleine aber und so nah am Publikum, das kann mich schon fertig machen.
Vergangenen Samstag hatte ich Glück, meine Gedanken blieben bei mir, das freundliche Grinsen meiner frischen Bekanntschaft, der Autorin (die mit ihrem Publikum sogar am gleichen Tisch saß, sicher auch keine gewohnte Situation bei einer Lesung) und die allgemein sehr sympathische Ausstrahlung der anwesenden Zuhörer halfen mit. Das erste Stück, der zweite Satz aus der CPE-Sonate enthielt eigentlich keine „Angst-Stellen“. Das war günstig, sich selbst einen Schubs zu geben und eine extra Schippe hinsichtlich Gestaltung draufzulegen (den inneren Schweinehund unter dem Bett, wo er sich vor Angst verkrochen hat, rauszuholen und bellen zu lassen, ist das perfekte Rezept gegen Nervosität).
Natürlich kam es zu den unvermeidlichen Fehlern: fehlende Luft, falsche Dynamik (wegen fehlender Luft), falsche Töne, hängende Finger (die Triolen im Ibert….grrrr). Aber ich schaffte es, nicht das halbe Stück an die bevorstehenden Hürden zu denken, sondern überall wo es mir möglich war auch Musik zu machen und dann wenigstens nur die schweren Stellen zu verhauen und nicht alles vor- und/oder hinterher auch noch. Ich glaube, das ist die maximale Professionalität die ich überhaupt erreichen kann. Es ist nicht so gut, wie es mir zuhause manchmal vorkam, aber es ist viel besser als was ich früher so abgeliefert habe. Es ist mehr als die richtigen Töne zur rechten Zeit, es ist ein bisschen Musik.
Die Texte der Lesung erwiesen sich als spannend, anrührend und interessant. Das war wunderbar, weil es mir auch erlaubte, meine Konzentration aufrechtzuerhalten. Zusammengefasst wurde es ein wunderschöner Abend mit vielen netten Leuten, die ich zuvor nicht kannte. Das Essen war grandios, der Abend wurde lang und das folgende Frühstück (die Gastgeber, Autorin mit Gatte und ich) richtig, richtig nett. Ein rundum wunderbares Wochenende, auch wenn ich müde heim- und ins Büro kam.
Die Bücher der Frau Sabine M. Gruber (dabei ist es wichtig, das M. zu beachten!) waren eine zusätzliche Entdeckung. Sehr gut beobachtet und mit wenigen Worten auf den Punkt gebracht. Frau Gruber hat neben Beziehungsreise und der Kurzgeschichten-Sammlung „Kurzparkzone“ (es gibt noch viel mehr, die kenne ich aber noch gar nicht) besonders passend für diesen Blog auch musikalische Bücher geschrieben. Als langjähriges (ehemaliges) Mitglied des renommierten Wiener Schönberg-Chors hat sie in „Mit einem Fuß im Frühling“ und „Unmöglichkeiten sind die schönsten Möglichkeiten“ zwei Bücher über die Probenarbeit dieses Chores mit Harnoncourt geschrieben. Ersteres dreht sich um Haydns Vier Jahreszeiten, letzteres enthält Zitate aus der Erarbeitung verschiedener Werke. In den Haydn-Band konnte ich schon mal reinschnuppern. Wer je an einer Probe teilgenommen hat, wird sich die Atmosphäre bei der Lektüre der Hinweise Harnoncourts gut vorstellen können. Und ein bisschen kann man ahnen, dass es was besonderes sein muss, unter der Leitung dieses Mannes zu spielen (würde man auch ahnen, wenn man den Namen nicht wüsste und das läse, meine ich damit).
Übrigens, nachdem ich eines der beiden Bücher schon habe, das andere heute bestellt habe, werden beide hier noch ausführlich vorgestellt werden…. irgendwann 🙂
Jedenfalls habe ich viel gewonnen an diesem Wochenende, neue Freunde (das wichtigste), neuen Mut (drei Jahre habe ich mich nicht so recht getraut, die Einladung anzunehmen) und ein bisschen mehr Vertrauen in das, was ich trotz Nervosität am Ende leisten kann. Danke für die Gelegenheit dazu!